Fast zwei Jahrzehnte lang hat er die Welt der Supersportwagen terrorisiert. Er war der digitale Samurai, der die europäische Aristokratie das Fürchten lehrte. Doch nun ist die Herrschaft von “Godzilla” endgültig vorbei. Ein Nachruf auf den Nissan GT-R R35 – den kompromisslosen Athleten, der sich weigerte, modern zu sein.
Die Nachricht kam nicht überraschend, aber sie traf die Autowelt dennoch ins Mark: Anfang 2025 stellte Nissan die Produktion des GT-R R35 für alle Märkte weltweit ein. Nach fast 18 Jahren Bauzeit – eine Ewigkeit im Automobilbau – wurde der Stecker gezogen. Gestiegene Preise, verschärfte Lärm- und Abgasvorschriften und nicht zuletzt sein biblisches Alter besiegelten sein Schicksal.
Doch der GT-R war nie ein Auto, das sich um Konventionen scherte. Er war von Anfang an ein Außenseiter, ein Rebell. Als er 2007 erschien, bot er die Leistung eines 200.000-Euro-Supercars zum halben Preis. Er war ein Produkt von Ingenieuren, nicht von Marketing-Abteilungen. Seine Mission war einfach und brutal: der Schnellste zu sein. Koste es, was es wolle.
Das Wichtigste in Kürze
Merkmal | Daten (Basis: GT-R, letztes Modelljahr) |
Modell | Nissan GT-R (R35) |
Charakter | Kompromissloser, brutaler Athlet |
Spitzname | “Godzilla” |
Motor | 3.8 Liter V6 Biturbo (VR38DETT), handgefertigt |
Leistung | 570 PS (Standard) / 600 PS (NISMO) |
Antrieb | ATTESA E-TS Allradantrieb mit Heck-Transaxle-Getriebe |
Highlight | Explosive Beschleunigung, immense mechanische Traktion |
Letzter Neupreis (DE) | ca. 110.000 € (Standard) / ca. 220.000 € (NISMO) |
Das Herz des Athleten: Der VR38DETT Motor
Das Herzstück eines jeden GT-R ist sein Motor. Der VR38DETT, ein 3.8-Liter-V6 mit zwei Turboladern, wurde über die Jahre stetig weiterentwickelt. Jeder einzelne Motor wurde von einem von nur fünf “Takumi”-Meistern bei Nissan in Yokohama von Hand zusammengebaut. Das Ergebnis war eine Leistung von mindestens 570 PS und ein Drehmoment von über 630 Nm.
Doch die reinen Zahlen erzählen nur die halbe Geschichte. Der Charakter dieses Motors war einzigartig: ein mechanisches, schnaubendes, zischendes Inferno. Im Gegensatz zu modernen, hochdrehenden Saugmotoren oder leisen Hybrid-Antrieben war der GT-R ein mechanisches Biest. Man hörte das Ansaugen der Luft, das Pfeifen der Turbos und das laute, fast landwirtschaftliche Geräusch des Getriebes beim Rangieren. Es war der Klang roher, ungefilterter Kraft.
Fahrleistung: Die Kunst der brutalen Effizienz
Die Paradedisziplin des GT-R war immer die Beschleunigung. Dank seines genialen ATTESA E-TS Allradantriebs und der Launch Control katapultierte er sich aus dem Stand in unter 3 Sekunden auf 100 km/h. Selbst 15 Jahre nach seinem Debüt waren das Werte, an denen sich viele modernere und teurere Supersportler die Zähne ausbissen.
Das Fahrverhalten war das eines reinen Sportgeräts. Die Lenkung war schwer und direkt, das Fahrwerk bretthart. Jede Bodenwelle, jeder Kieselstein wurde an den Fahrer weitergegeben. Komfort war ein Fremdwort. Alles war auf maximale Kontrolle und Rückmeldung ausgelegt. Auf der Nordschleife war der GT-R eine Waffe, im Stadtverkehr eine Tortur. Er war ein kompromissloser Athlet, der von seinem Fahrer vollen Einsatz forderte.
Innenraum und Design: Eine Zeitkapsel
Während die Technik unter dem Blech stetig verbessert wurde, blieb das Grunddesign des GT-R über die Jahre nahezu unverändert. Auch der Innenraum wirkte zuletzt wie eine Zeitkapsel aus den späten 2000er-Jahren. Im Zeitalter riesiger Touchscreens und minimalistischer Cockpits bot der GT-R eine Flut an echten Knöpfen und ein Infotainment-System, dessen Grafiken an ein PlayStation-Spiel erinnerten – passenderweise von Polyphony Digital, den Machern von Gran Turismo, entworfen.
Für viele war dies ein Schwachpunkt. Für Fans war es Teil seines Charmes. Es war ein Cockpit, das zum Fahren gemacht war, nicht zum Spielen. Ein Arbeitsplatz für den Piloten.
Die Konkurrenten: Godzilla gegen den Rest der Welt
Der Hauptrivale war von Anfang an der Porsche 911 Turbo. Der Deutsche war stets der kultiviertere, luxuriösere und alltagstauglichere Supersportwagen. Der GT-R konterte mit purer, brutaler Leistung und einem deutlich geringeren Preis. Es war der Kampf des Skalpells gegen den Vorschlaghammer. Mit der Zeit wurde der GT-R zwar teurer und der 911 immer schneller, doch der grundlegende Charakterunterschied blieb bis zum Schluss bestehen.
Fazit: Für wen war der Nissan GT-R?
Der GT-R war nie ein Auto für jeden. Er war keine Wahl für Poser, die vor dem Casino flanieren wollten. Er war ein Auto für Kenner. Für “Petrolheads”, die die Ingenieurskunst und die rohe, mechanische Faszination schätzten. Für Fahrer, die bereit waren, Komfort für maximale Performance zu opfern. Einen GT-R zu fahren war kein Statussymbol im klassischen Sinne – es war ein Statement. Ein Bekenntnis zur reinen, unvernünftigen Freude an der Geschwindigkeit.
Vor- und Nachteile
Vorteile (Pros) | Nachteile (Cons) |
✅ Phänomenale, brachiale Beschleunigung und Performance | ❌ Fahrwerk extrem hart und im Alltag unkomfortabel |
✅ Immense Traktion dank intelligentem Allradantrieb | ❌ Veraltetes Innenraumdesign und Infotainment |
✅ Einzigartiger, mechanischer und ungefilterter Charakter | ❌ Hohe Unterhalts- und Wartungskosten |
✅ Status als moderne Ikone und “Porsche-Schreck” | ❌ Produktion wurde 2025 endgültig eingestellt |
✅ Relativ günstig für die gebotene Längsdynamik |
Urteil des Redakteurs
Der Nissan GT-R R35 ist tot. Und er wird schmerzlich vermisst werden. In einer Zeit, in der Supersportwagen immer perfekter, leiser und digitaler werden, war er der letzte analoge Held. Ein mechanisches Meisterwerk, das Geräusche machte, das vibrierte, das lebte. Er war nicht perfekt, und genau das machte ihn so verdammt gut. Er war ein echter Athlet mit Ecken und Kanten, kein aalglatter Influencer. Sayonara, Godzilla. Es wird keinen mehr wie dich geben.